Die ersten Storys auf Deutsch schrieb ich Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts, in denen ich mein schreibendes Pendeln zwischen den Kulturen thematisierte. In dieser Zeit ahnte ich nicht einmal, was für eine brisante Problematik der Zukunft ich in meine Geschichten einfließen ließ. Das bezeugen auch diese zwei Kurzstorys aus dem Bändchen Frauen in der Karawane Sinais. Als erste biete ich meinen Lesern Alles gute Muslime an, in einer Woche folgt Eine Konvertierte – eine Geborene.
Wenn Sie interessiert sind, können Sie das Büchlein immer noch beim NordPark-Verlag Wuppertal erwerben.
Alles gute Muslime
Die Weisheit des Literatur- Magiers Luis Borges, es sei für die Religion leicht zu sterben aber recht schwierig für sie zu leben, traf auf meinen Vater nicht zu. Er hatte keine Lust zu sterben, noch weniger, als Frömmler zu leben. Bereits in jungen Jahren war ihm klar, dass er sich der Religion nicht unterwerfen konnte. Er wurde als Muslim geboren, glaubte an Gott, aber die vorgeschriebenen Pflichten des Islam konnte er nie erfüllen. Für seine Sünden stand er gerade und verabscheute jede Heuchelei.
Stellen wir uns vor, jemand hätte meinen Vater hierzulande zu einer türkischen Feier eingeladen. Schon auf den ersten Blick hätte er die Gäste mit seinem Humor erfreut: "Mein Sohn, bitte schenke mir keinen Schnaps aus dieser Aldi-Tüte ein. Der ist mir zu billig! Meinst du etwa, der liebe Allah ist blind und sieht nicht, was du da tust? Oder diese Betrunkenen dort in der Ecke. Stell mein Glas auf den Tisch! Gottes Strafe dafür werde ich akzeptieren!"
Ich hatte aber eine sehr fromme Tante. Sie betete alle vorgeschriebenen Gebete, fünf Mal am Tag verneigte sie sich vor dem Allmächtigen. Und am Opfer-Kurban-Bajram gedachte sie ihres verstorbenen Mannes Mustafa. In seinem Namen ließ sie einen großen Schafsbock schlachten. Aber meine Tante war geizig und konnte diesem Fluch nicht widerstehen. So verteilte sie an die Familie oder an arme Menschen nur ein Viertel des Kurbans, drei Viertel landeten in ihrem Kochtopf. Gerade umgekehrt sollte es sein.
Ich erinnere mich an unseren Nachbarn, Avdić hieß er, der die Böcke für den Opfer-Bajram züchtete. Er war ein Schlitzohr, konnte die kümmerlichsten Tiere zu den teuersten Preisen verkaufen. Und sich danach über die Dummheit seiner Kunden lustig machen.
Auch ich konnte meinem Laster nicht entkommen. Ich wurde vomSchaitan selbst geritten, gerade diese schrägen Charaktere in meinen Geschichten darzustellen. Die Warnungen, das zu unterlassen, nahm ich nie wahr. Scheherazades Fluch ist mir zu einer Droge geworden, in deren Rausch ich keine Ängste kannte. Nur ich war nicht geschickt, um meine Geschichten märchenhaft zu schmücken. Als meine Charaktere wählte ich immer die Menschen aus, über deren Makel ich mich lustig machen konnte. Ernüchterung und Alpträume ließen nicht lange auf sich warten.
In der letzten Nacht träumte ich mir davon, ich wäre vor ein Gericht der Gerechten gestellt worden. Sowohl der Kläger als auch der Richter hatten vermummte Gesichter, aber dieselbe Stimme, die Stimme eines strengen Imam aus unserer Gemeinde.
"Wer hat dir das Recht gegeben, solche Karikaturen aus Muslimen zu machen?" zischte der Mann ohne Gesicht.
"Verehrtes Gericht, ich weiß nicht was Sie meinen!" ich mimte die Unschuld in Person.
"Warum schreibst du nur über schlechte Muslime wie deinen Vater!" - erhob er seine Stimme.
"Aber mein Vater war ein guter Mensch. Er hat Tag und Nacht gearbeitet, um unsere Familie zu ernähren. Ich habe mit seiner Hilfe die Schule absolviert. Ab und zu ein Paar Gläschen, das ist doch keine Sünde, oder ..."
"Was macht dieses Schlitzohr, Avdić, in deiner Geschichte?" - unterbrach der Richter mich.
"Avdić, den Kurban-Züchter meinen Sie? Er war auch ein guter Mensch. Er hat meinen Bruder aus dem Hochwasser führenden Bach gerettet", belehrte ich ihn.
"War diese Eule, diese Tante, die die Vorschriften der Religion nicht achtete, auch eine gute Frau?" lachte er, aber sein Blick bohrte mich durch.
"So schlimm war sie doch nicht. Sie konnte wunderschön singen, besonders unsere Volkslieder, sogenannte Sevdalinken ..."
Das war ein böser Traum. Nach dem Erwachen begriff ich, dass der Richter mich schon vor die Tür gesetzt und mir Hausverbot verpasst hatte. Ich durfte nie mehr in der Gemeinde erscheinen.
Jetzt frage ich mich, war das ein Traum oder Wirklichkeit?
Jetzt kommt die zweite Geschichte