Warten auf den„man“-Messias
Wer kümmert sich um die muslimischen Frauen?
Seit etwa zwei Jahrzehnten sind viele wirkliche und selbsternannte Freidenker aufgetreten, die in der Medienlandschaft als kompetente Islam-Experten und Kenner der gesellschaftlichen Zerwürfnisse fungieren. Sie arbeiten gewöhnlich in Hochschulen und tragen die höchsten akademischen Titel. Sie haben das Privileg, sowohl ihre Erfahrungen als auch ihre Analysen der Situation in den ghettoisierten muslimischen Gemeinden an die Öffentlichkeit zu bringen. Dafür stehen ihnen alle möglichen Medien zur Verfügung. Ihre Berichte registrieren übereinstimmend eine auf der Strecke gebliebene Integration (und fordern verstärkte Bemühungen). Man kann sie kaum voneinander unterscheiden. Sehr gefragt sind sie immer dann, wenn die Gesellschaft wieder einmal durch grausame Taten zugewanderter junger Männer erschüttert worden ist, handle es sich um Terrorattacken irgendwo in Europa oder um Vergewaltigungen und Ermordungen junger deutschstämmiger Mädchen und Frauen.
Die Liste solcher in der Öffentlichkeit stehenden Forscher und Analytiker ist nicht lang. Ich könnte ihre Namen rasch aufzählen. Aber das unterlasse ich, denn sie sind ohnehin gut bekannt.
Natürlich gibt es auch viele Forscher, Publizisten und Journalisten mit deutschen Namen, die immer wieder das Scheitern der Integration feststellen, ganz ähnlich wie die eingedeutschten Denker und Analytiker.
Als Schriftstellerin versuche ich zum einen, die Situation der Menschen, die ihre Herkunft mit der Orientierung an den sogenannten Werten der deutschen Gesellschaft vereinbaren wollen, in meinen Werken kritisch zu erfassen. Zum anderen bemühe ich mich, aufklärende Kulturprojekte zu entwickeln und diese an die Alltagswelt der Zugewanderten und ihrer Nachkommen heranzutragen. Das liegt mir besonders am Herzen, zumal ich zeit meines Lebens immer wieder mit einem doppelten Dilemma der Zugehörigkeit konfrontiert war, nämlich dem meiner slawischen Herkunft und dem meiner muslimischen Wurzeln. Hinzu kam die Weiterbildung in der deutschen Sprache und Kultur – ich halte mich seit Jahren für ziemlich eingedeutscht. Ich fühle mich innerlich getrieben, etwas zu tun, um die verhängnisvolle Situation nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu ihrer Überwindung beizutragen.
Deshalb versuche ich seit Jahren, solche oben erwähnten Forscher, Kenner, Analytiker, Journalisten, Publizisten zu kontaktieren, meist per E-Mail oder telefonisch, in der Hoffnung, dass sie meine Berichte, Vorschläge und Anregungen wahrnehmen. Wahrscheinlich bin ich ihnen lästig, zumal ich sie stets frage, was wir an der Basis unternehmen können, um endlich die Tür zur Integration zu öffnen, insbesondere für diejenigen, die schon jahrzehntelang in diesem Land leben. Auf meine Initiativen mit dem Schwerpunkt „Frauen und Nachwuchs“ erhalte ich nur sehr selten eine Antwort. Ab und zu landet in meinem Postfach ein Schreiben mit einem knappen Dankeschön für meine Informationen: Sie seien sehr wertvoll. Manchmal gibt man mir auch das Versprechen, meine Werke weiterzuempfehlen, obwohl ich gar nicht darum gebeten habe.
Wer ist und wo befindet sich jenes „Man“, das alles richten soll?
Die Liste meiner Adressaten ist lang. Hier möchte ich nur einen meiner gescheiterten Versuche darstellen, in dem sich meine ganze Frustration wegen der Blockade an der Basis offenbart.
Nach dem grausamen Tod von mehreren Mädchen und jungen Frauen, ermordet durch junge Männer aus anderen Kulturen, wurde eine Islam-Expertin und Forscherin, Frau Dr. Sch., von vielen Medien um eine Beurteilung gebeten. Ich zitiere zwei Aussagen von ihr, die mich dazu bewegt haben, ihr zu schreiben:
„Viele junge arabische Männer sehen Frauen als ‚reine Sexobjekte‘, mit denen man tun kann, was man möchte.“
Und dann erläutert sie, was aus ihrer Aussage folgt:
„Darüber hinaus geht es natürlich auch darum, dass all das, was ja bei uns auch in langen und zähen Auseinandersetzungen schwer erkämpft worden ist, nämlich die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, beileibe keine Selbstverständlichkeit ist, auch nicht in unserer eigenen Geschichte, dass das jetzt natürlich auch verteidigt werden muss gegenüber Zuwanderern, die nicht davon überzeugt sind, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte haben.“
Ihre Aussagen haben mich nicht nur erschüttert, sondern auch empört, zumal Frau Dr. Sch. nur die deutschen Frauen, die von arabischstämmigen Männern als „Sexbeute“ wahrgenommen werden, im Sinn hatte. Ich konnte das nicht einfach auf sich beruhen lassen. Deshalb schrieb ihr die folgende E-Mail:
„Sehr geehrte Frau Sch.,
ich bin eine eingedeutschte Schriftstellerin mit slawisch-islamischen Wurzeln. [….] Ich schreibe Ihnen bezüglich Ihrer Äußerung, dass es jetzt sichtbar geworden sei, was für ein Frauenbild die jungen zugewanderten Männer aus anderen Kulturen hätten.
Ich bin ganz Ihrer Meinung, jetzt weiß jeder, nicht nur die AfD, wie sie ticken, sich untereinander schlagen, null Respekt vor allem haben, wie sie prügeln und töten. […]
Wenn Sie aber als Forscherin in diesem Gebiet tätig sind, wissen Sie sicher, dass alle diese Grausamkeiten gegenüber Frauen schon vorhanden waren, aber unsichtbar, in den Parallelgesellschaften, wo die deutsche Öffentlichkeit sie sehr selten wahrnahm oder komplett ignorierte.
Sie wissen sicher, wie viele Mädchen gezwungen werden, ihre Cousins zu heiraten, um dann von denen vergewaltigt zu werden. Wie viele Mädchen sich umbringen, weil sie nicht so leben wollen. Oder sie wurden von der eigenen Familie umgebracht, nur weil sie einen Freund aus anderen Kulturen hatten. Vor einigen Jahren hat Dr. Meryam Schouler-Ocak eine Aktion in Berlin gestartet: ‚Beende Dein Schweigen, nicht Dein Leben.‘ Das hat nicht viel geholfen, die deutsche Gesellschaft hat sich wenig darum gekümmert, die Rechte der zugewanderten Frauen zu stärken. Zu den ewig Gestrigen, die schon vorhanden sind, kommt vielleicht noch eine Million junge Männer dazu, die von dieser Kultur keine Ahnung haben. Ich lebe an der Basis und ich bin sicher: Ihre Sozialisation kann nicht nur durch Forscher, durch Sichtbarmachung oder die Diskussionen in den Talkshows stattfinden. Welche Krankheit könnte man nur durch Diagnosen, aber ohne passende Medikamente heilen? Diese Frage habe ich persönlich an zahlreiche deutsche Institutionen und Redaktionen gestellt und wurde immer wieder mehr oder weniger unfreundlich abgewiesen. Besonders grob und herablassend von den engagierten deutschen Frauen.
Mit vielen freundlichen Grüßen und auch Wünschen für eine Zusammenarbeit.
Um der jungen Menschen auf beiden Seiten willen.
Safeta Obhodjas“
Die Fortsetzung ...