Frau und Feder – weibliche Charaktere in der mündlichen Literatur der Muslime in Bosnien
Meine erste Heimat, Bosnien und Herzegowina, hat anfangs der neunziger Jahre einen schrecklichen Krieg durchgemacht. Hunderttausende Menschen, überwiegend Muslime, wurden umgebracht und vertrieben und ihre Kultur wurde vernichtet. Mit den zerstörten Dörfern, Ortschaften, Stadtteilen und historischen Gebäuden verschwanden auch zahlreiche sowohl private als auch öffentliche Bibliotheken.
Nach dem Inferno hat man allmählich angefangen, Verlage und Bibliotheken zu erneuern. In der Stadt Tuzla, in Zentralbosnien, entstand der Verlag Bosnisches Wort – Schönes Wort, der meine Bücher auf Bosnisch publiziert. Zu meiner großen Freude haben viele Büchereien meine Werke erworben. Ab und zu erreichen mich sehr positive Feedbacks der Leser. Sie schreiben mir, dass sie manchmal monatelang warten müssen, um ein Buch von mir zum Lesen zu bekommen. Die Zahl der Exemplare ist begrenzt und deshalb entstehen Wartelisten derjenigen, die meine Bücher ausleihen möchten.
Vor einer Weile habe ich das Buch Frau und Feder, im Original: Žena i kalem, publiziert. (Das Wort Kalem hat die bosnische Sprache aus dem Türkischen übernommen und es bedeutet Feder oder Stift). In unserer volkstümlichen Literatur, in Poemen, Balladen oder Epen, wurden Frauen mehr oder weniger negativ dargestellt. Als junge Mädchen verfügen sie über eine verführerische Magie, mit der sie den Männern die Köpfe so verdrehen, dass sie sich ihretwegen ins Unglück stürzen. Manchmal sind die weiblichen Charaktere böse, manchmal gute Mütter, die ihre Söhne vergöttern oder anstacheln, böse Dinge zu tun. Einmal verheiratet, sind Frauen nur im Besitz ihrer Männer, die entweder durch ihre Heldentaten glänzen oder wegen ihrer Untaten verdammt werden.
In meinem Buch habe ich mich mit so einer Darstellung der Frau in der mündlichen Dichtung auseinandergesetzt. Aufs Korn nahm ich auch immer dieselben Analysen und Auslegungen dieser Literatur der gegenwärtigen Wissenschaftler. In meinen Essays versuchte ich darauf aufmerksam zu machen, wie diese nicht enden wollende, unkritische Wiederholung der veralteten Mythen in den Schulbüchern unter anderem dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft so rückständig bleibt, besonderes bezüglich der Geleichberechtigung der Frauen.
Natürlich weiß ich nicht, ob meine Sicht und Absicht ein Umdenken bei den Lesern bewirken können. Aber das folgende E-Mail einer Studentin aus Sarajevo lässt mich hoffen, dass das doch manchmal stattfindet.