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Safeta ObhodjasSafeta Obhodjas

 

Safeta Obhodjas – Schriftstellerin der Zwischenwelten – ein Porträt

von Dr. Jutta Höfel

 

Die Frauen ihrer Erzählungen, Romane und Theaterstücke heißen Hana, Amila, Emina, Nadira, Sandra, Vildana, Meryam und Latifah, Zeyneb und Dilara. Sie leben in muslimischen Familien, in den oftstrengen Begrenzungen durch die väterliche Herrschaft und unter der wachsamen Kontrolle der Mütter, sie lehnen sich auf gegen die Einschränkung und Verletzung ihrer Persönlichkeit, sie leiden am Zerbrechen ihrer psychischen und sozialen Geborgenheit und schaffen sich auf der Suche nach einer Identität eigene Überlebensräume zwischen orientalischer Tradition und europäischer Aktualität.

In diesen Figuren entfaltet Safeta Obhodjas Teile ihrer eigenen Geschichte. 1951 als Kind einer bosnisch-muslimischen Familie in Pale, einer Kleinstadt nahe Sarajevo geboren, wuchs sie in der sozialistischen Diktatur unter Josip Broz Tito auf. In der Schule entdeckte sie die Faszination des Lesens, Denkens und Schreibens als einen Raum der Unabhängigkeit zunächst von der beengenden familiären Situation, eine Freiheit, die sie seither im größeren Kreis gegen die Vereinnahmung durch die Gesellschaften, in denen sie lebte und lebt, behauptet.

Mit Nadira, der Heldin ihres Roman „ Scheherezade im Winterland“ (1998) betreten wir unmittelbar die Jugendwelt der Autorin, das Bosnien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das nach dem Jugoslawienkrieg unwiderruflich zerstört war und das Safeta Obhodjas mit ihren atmosphärischen Schilderungen für uns bewahrt hat: die balkanische von der osmanischen Vergangenheit geprägte Lebensweise in dörflich-bäuerlichen und städtischen Milieus und das nicht immer friedliche nachbarschaftliche Miteinander der serbischen und bosnischen, der muslimischen und christlichen Familien, zwischen denen Spannungen aufbrechen.

Sowohl die Autorin als auch ihre Protagonistin schöpfen dabei aus dem Erzähl-Erbe der älteren Frauen, die seit Jahrhunderten die mündliche Literatur von Generation zu Generation überlieferten.

Nadira schreibt eine Geschichte und gewinnt einen Preis, den die Familie zunächst als Skandal empfindet, weil die Tochter mit dieser Tätigkeit in die Öffentlichkeit gerät, statt sich in der Zurückgezogenheit des Haushalts auf ihre Frauenpflichten vorzubereiten. Doch das Mädchen erkämpft sich ihren Weg in die Selbstbestimmung als Autorin.

Safeta Obhodjas heiratete früh und bekam zwei Töchter. Neben ihren Aufgaben als Mutter, Ehefrau und Schwiegertochter und neben ihrer Berufstätigkeit studierte sie Journalismus an der Universität in Sarajewo und begann nach ihrem Abschluss trotz aller familiären Einwände und Widerstände mit ihrer schriftstellerischen Arbeit.

Ihre ersten Hörspiele wurden in den 1980er Jahren überall in Jugoslawien gesendet und ihre Erzählungen zunächst in Zeitschriften publiziert, 1987 als Band unter dem Titel „Die Frau und das Geheimnis“. „In diesen Jahren war doch die Welt in Ex-Jugoslawien noch in Ordnung. Aber sowohl die Politik als auch die künstlerische Arbeit wurden den patriarchalischen und historischen Götzen untergeordnet. Und ich hatte den Wunsch, über die modernen Zeiten und meine Zeitgenossinnen zu  schreiben. Ich versuchte, den weiblichen Charakteren in meiner Prosa eine Möglichkeit zu geben, über sich selbst und über die  Gesellschaft ihre Meinung zu äußern.“

So blickt die Schriftstellerin auf ihre frühe Werkphase bis Anfang 1992 zurück, in der auch die Romane „Hana“ und „Das Gastmahl“ entstanden, jedoch nicht mehr veröffentlicht werden konnten. 

Während des Bosnienkrieges musste Safeta Obhodjas mit ihrer Familie ihre Heimat verlassen, vertrieben von der drohenden „ethnischen Säuberung“, mit der die diejenigen, die zuvor Freunde und Mitbürger waren, sie als Todfeinde verfolgten.

Die Familie kam nach Deutschland. Nach der Trennung von ihrem Mann lebte die Autorin mit ihren Töchtern zunächst in Velbert, seit 1996 in Wuppertal. Die ersten Jahre des Exils waren vor allem dadurch geprägt, den unmittelbaren Unterhalt zu verdienen und eine plötzlich überlebensnotwendig gewordene Sprache zu lernen, nicht nur, um den Alltag zu bewältigen, sondern auch um schreiben und die Übersetzung ihrer Werke begleiten zu können.

Schon 1995 erschien „Hana“ in deutscher Sprache. Die Handlung beginnt in einer Ambulanz, in der die Ärztin Emina die schrecklichen Verstümmelungen der jungen Frau behandelt, die währenddessen ihre Geschichte erzählt: von ihrer Mutter als uneheliches Kind eines bei der Flucht verwundeten deutschen Soldaten nicht anerkannt, wird Hana von Verwandten und Bekannten erzogen und mit dem sie abstoßenden Asif verheiratet. Nach der Geburt ihrer Zwillinge hat sie eine heimliche Beziehung zu ihrer Jugendliebe Halid, die tragisch eskaliert. Schließlich kehrt sie zu ihrem Mann und den Kindern zurück.

Der Roman wurde in der Zeitschrift der Einkaufszentrale der deutschen Bibliotheken EKZ 1/2000 von Dagmar Härter besprochen: „Zum einen hat mich ‚Hana’ inhaltlich sowie sprachlich sehr stark beeindruckt und menschlich berührt, so dass ich mich auch nach nunmehr drei Jahren noch gut  daran erinnern kann. [...] Was sich wie eine ganz konventionelle  Geschichte anhört, fesselt den Leser von der ersten bis zur letzten Zeile. Safeta Obhodjas lässt Hana leidenschaftslos und ohne Pathos zu  erzählen, was aber um so eindrucksvoller und eindringlicher wirkt. Überhaupt ist sie eine Meisterin der leisen Töne, nimmt sich zurück, lässt allein die Figuren sprechen. Das harte Leben im ländlichen Bosnien, geprägt von den Entbehrungen, aber auch mit seiner herben Schönheit, tritt unverhüllt vor Augen.“

1997 wurde der „groteske“ Roman „Rache und Illusion – ein bosnisches Gastmahl“  überarbeitet herausgebracht. Im Mittelpunkt steht die Biologin Amila, die von der Forschung und von der Rettung der bosnischen Wälder träumt, während sie in einem Hotel arbeitet. Ihr Vater verehrt den gerechten Sozialismus, der ihn ins Gefängnis bringt und sein Leben kostet, und der Großvater will nicht verstehen, dass die Freundschaft zwischen Serben und Bosniern nur noch ein Wunsch ist. Seine Enkelin sieht zu „wie die Machtleute, aus der puren Gier die ganze Umwelt und viele Menschen zerstören, um sich selbst zu bereichern und ihr ununterbrochenes Gastmahl zu finanzieren. In Amilas Herzen wächst die Rachsucht ... .“

In einer Nachbemerkung situiert Safeta Obhodjas das Romangeschehen in seinem Wirklichkeitsrahmen: „Ich begann mit meiner schriftstellerischen Arbeit zu einer Zeit, als noch die Hoffnung bestand, das meine ehemalige Heimat Jugoslawien sich von der Diktatur unter einer kommunistischen Partei zu einer Demokratie europäischen Zuschnitts wandeln würde. Ich träumte davon, dass auch wir Frauen von diesem Wandel profitieren würden, dass wir allmählich das Bewusstsein von uns selbst, von unserer Rolle in der Gesellschaft ändern und uns einen Platz im öffentlichen Leben schaffen würden. [...]

Damals bereite eine erschreckend brutale und gewalttätige männliche Maschinerie den Untergang der bisherigen Ordnung und den Tod eines ganzen Volkes vor. Auch ich stamme aus diesem Volk, dessen Vernichtung sich anbahnte. Im Bewusstsein habe ich mir nicht eingestanden, dass sich Krieg und Genozid in meiner Heimat entwickeln konnten. [...] Aus meiner Feder rannen groteske, düstere Bilder unserer Wirklichkeit: für mich waren sie einer Erinnerung an Menschen, die nirgendwo dazu gehörten.“

 

Safeta Obhodjas selbst brauchte Zeit, um wieder ein Gefühl von Dazugehörigkeit zu entwickeln. Unterstützt wurde sie dabei von vielen beherzten Menschen, unter anderen in der Evangelischen Gemeinde in Velbert, im Melina-Verlag in Ratingen und in der GEDOK in Wuppertal, an die sie sich gewandt hatte, um mit Kolleginnen in Kontakt zu kommen. 1997 hat sie einen bedeutungsvollen Schritt vollzogen: Sie schreibt ihre Texte in deutscher Sprache.

Ihre Bücher fanden zunächst nicht die erhoffte Resonanz, sie entsprachen nicht den Erwartungen: „Literatur aus Bosnien war damals gefragt,  ... . Ich aber hatte keinen  Roman, der das schöne multikulturelle Märchen meiner Heimat zum Thema hatte.“ Ihr Motto ist vielmehr: „Meine Literatur soll die Welt widerspiegeln wie sie ist und auf prekäre Verhältnisse aufmerksam machen.“

Dabei erfuhr sie nicht nur Ablehnung, sondern auch Ermutigung: „Ich hatte die Ehre und Freude, viele Deutsche kennenzulernen, die von den Medien erwarten, dass sie Muslime zu Wort kommen lassen, die zwar zu ihrer islamischen Kultur stehen, aber gelernt haben undogmatisch zu denken und zu handeln. Und noch etwas, was mir viel Hoffnung macht: die Stimmen von Muslimen, die europäisch leben möchten und jegliche Gewalt im Namen des Glaubens verabscheuen.“

1997 und 1998 boten ihr Stipendien in Stuttgart und Schöppingen die Gelegenheit, sich auf ihre schriftstellerische Arbeit zu konzentrieren, unter anderen auf die „Scheherezade“. Stellvertretend für viele Rezensionen des Romans kann der Kommentar eines Lesers stehen: 

„Was mich am stärksten beeindruckt hat, ist die Vielschichtigkeit des ‚Romans’. Einmal von der Technik her, Sie beherrschen es meisterhaft, durch Andeutungen, Vorausnahmen, Abbruch von Episoden, offene Fragen in Dialogen, die eingestreuten nicht ausgesprochenen Gedanken Nadiras den Leser in Spannung zu halten, ... .“

In Schöppingen lernte Safeta Obhodjas den bekannten irakischen Dichter Sargon Boulos (1944 – 2007) kennen, der aus einer verfolgten christlichen Minderheit stammend schon 1967 sein Land verließ. Aus den Gesprächen der beiden Autoren über die Sitten und Gebräuche ihrer Heimat und über ihre Erfahrungen in der Emigration ergab sich ein gemeinsames Buch: „Legenden und Staub – auf den christlich-islamischen Pfaden des Herzens“ (2001 / 2007)

Als Leser werden wir hineingezogen in einen lockeren Reigen spontan erscheinender Erzählungen, in denen sich Erinnerungen an Orte, Menschen und Texte aneinander reihen und sich mit Gedichten Sargon Boulos und Prosastücken Safeta Obhodjas zu einer literarisch vielfältigen „Abendland-Morgenland-Arabeske“  verbinden. Mit der Entdeckung überraschender Ähnlichkeiten und anregender Unterschiede in den Kulturen entfaltet das Buch zugleich ein überzeugendes Beispiel für einen gelungenen und bereichernden Annäherungs- und Verstehensprozess, den man sich auf allen Ebenen des Mitmenschlichen  – und für immer – wünscht. 

Die Verlage, die an Safeta Obhodjas herantraten, schlugen eine radikale Veränderung des Konzepts vor: „Die Geschichte Ihres Kollegen können Sie ausradieren, Ihre eigene vertiefen, wobei Sie Ihren Leidensweg als Muslimin beschreiben sollten.“ Doch sie verzichtete auf die unmittelbaren Angebote und platzierte das Buch in seiner originalen Fassung wenig später bei einem ernsthaft daran interessierten Verleger.

2002 fand die Uraufführung ihres Theaterstücks „Dzammilas Vorbild“ in Wuppertal statt. Darin und in der gleichnamigen Erzählung (2009 in dem Erzählband „Frauen aus der Karawane Sinais“) findet sich eine für die Autorin charakteristische Fortschreibung ihrer Stoffe und Gestalten, die in spiralig wachsenden Werkkreisen die sich verändernden Erfahrungen der Autorin reflektiert, in diesem Fall das Schicksal der „Scheherezade“.

Als die Schriftstellerin Nadira in einer deutschen Schule unter anderen vor muslimischen Schülerinnen ihre Geschichte „Der Preis“ liest, wird sie von der Lehrerin kritisiert, weil sie nicht eindeutig und nachdrücklich genug ihre Ab- und Auflehnung gegen ihre Unterdrückung durch ihre Familie formuliert habe. So könne sie kein Vorbild der Emanzipation sein. Nadira antwortet: 

„Sie haben das falsch verstanden. Ich habe beschrieben, wie ich die Hürden der Tradition mit der Hilfe meiner Familie beseitigt habe. Ja, mein Vater war sehr patriarchalisch, er hat sich manchmal wie ein Despot aufgeführt. Das hatte nichts mit Religion zu tun, er glaubte nicht an Gott. Er hat uns trotzdem viel gegeben. Er arbeitete sehr hart im Wald und auf unseren Feldern, um uns ernähren und in die Schule schicken zu können. In unserem Land herrschten schwere Zeiten. Ich war das erste Mädchen in meiner Familie, das die Schule besuchen durfte. Ich war das erste Mädchen in unserer Gemeinde, das einen Preis für Literatur gewonnen hat.“ [...]

Am Nachmittag kommt es zu einer weiteren Konfrontation:

„Dzammilas Mutter und ihr älterer Bruder standen neben dem Zaun. Es vergingen einige Minuten, bis ich begriff, dass ihr Geschrei mir galt. ‚Sie sind die Frau, die unsere Familie ins Unglück gestürzt hat!’ übersetzte der Junge. [...] ‚Sie haben gesagt, dass Sie eine Muslimin sind, und trotzdem eine Frau, die ihre eigenen Entscheidungen trifft. Von Kindheit an! Ihr Vater war ein guter Mensch, Sie haben seine Würde und Ehre vor der ganzen Gemeinde zerstört. Sie sind gegangen, wohin Sie wollten, ohne Ihren Vater nach seiner Erlaubnis zu fragen. Meine Tochter sagte mir, unsere Nachbarin ist eine Muslimin und ihr Vorbild. Dzammila hat uns gedroht, von zu Hause wegzulaufen, wenn wir ihr nicht erlauben, an einer Klassenfahrt teilzunehmen. Sie sind eine böse Frau!’ [...]

Als die kleine Frau ihre Wut an mir abgelassen hatte, drehte sie sich um. Der Junge stand immer noch da, er wollte mir noch etwas sagen. ‚Ich bitte Sie, unsere Situation zu verstehen. Wir haben hier niemanden, unsere Familie muss zusammenhalten’, sagte er mit gesenktem Kopf und so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. ‚Mein Vater musste von Anfang an sehr hart arbeiten, um uns ernähren und in die Schule schicken zu können. Wir dürfen ihn nicht enttäuschen, meine Schwester darf nicht so wie diese westlichen Mädchen werden. Wir alle lieben Dzammila, wir wollen sie beschützen. Ohne den Schutz der Familie wäre sie hier verloren. Das wissen Sie doch.’“

Der Auszug bringt die komplexen und widersprüchlichen Situationen im Übergang zwischen den Strukturen der Ankunftsgesellschaft und denen der Herkunftsgesellschaft, zwischen Integration und dem Aufbau von Parallelgemeinschaften zur Geltung, die keine Schwarzweißmalerei erlauben, sondern viele Grauzonen fordern. 

Die patriarchale Ordnung, die durch eine islamische Weltsicht verschärft werden kann, wird je nach Perspektive als begrenzend und behütend zugleich verstanden und bringt die weibliche Lebensfrage hervor, familiäre und gesellschaftliche Ansprüche zu erfüllen oder zu durchbrechen, sich einzufügen oder aufzubegehren.

Deutlich wird auch, wie schwierig und gefährlich der Stand der Moderatorin ist, den Safeta  Obhodjas einnimmt, indem sie viele Stimmen hören lässt, viele Bedürfnisse berücksichtigt und in dieser Haltung von allen Seiten angegriffen wird.

Diese Aufgabe anzunehmen und beizubehalten, kostet viel Kraft: „Im zehnten Jahr meines Aufenthalts in Deutschlands verdichtete sich mein Exil, und ich spürte meine Isolation tiefer als je zuvor. [...] Meine Werke passten nicht zum Mainstream der gefragten Themen, weil ich meine Erlebnisse und Beobachtungen als Muslimin in Europa literarisch überarbeite und keine Klischees bedienen wollte. [...] 2003 dachte ich ernsthaft darüber nach, meinen Beruf als Schriftstellerin, der für mich auch eine Berufung bedeutete, aufzugeben. In dieser Krise entdeckte ich zufällig das Werk von Helene Stöcker.“

Aus der Auseinandersetzung mit dieser unermüdlichen Verfechterin der Würde und Rechte der Frau gewann Safeta Obhodjas neue Kraft für ihr eigenes Schaffen. Helene Stöcker (1869 – 1943) betrachtete die Emanzipation aus fortschrittlichem Blickwinkel als gemeinsamen Prozess von Frauen und Männern, der – mit aller Offenheit für den Tabubereich der Sexualität – durch wechselseitiges Lernen, Verstehen und Achten zur gleichzeitigen Veränderung des Rollenverhaltens führt. Ebenso entschieden war die Lebensphilosophin für Pazifismus und Völkerverständigung tätig

Unter dem Titel “Ketten reißen nie von selbst” (2009) inszeniert Safeta Obhodjas in ihrem Hörstück fiktive Begegnungen mit Helene Stöcker an verschiedenen Orten in Wuppertal, um sich mit ihr über gemeinsame Themen auszutauschen, über die Hinterfragung geltender Normen und über neue Orientierungen in gesellschaftlichen Krisen und Umbrüchen zu Beginn des 20. und des 21. Jahrhunderts.

In dem Roman „Die Bauchtänzerin“  (2006 / 2015) geht Safeta Obhodjas nochmals auf das Geschick bosnischer Frauen ein, deren Streben nach Gleichberechtigung und Selbstverwirklichung durch den Krieg zerstört wurde, während der Erzählband „Frauen aus der Karawane Sinais“ (2009) Konflikte zwischen muslimischen Frauen in Deutschland aufwirft, die sich einerseits in der modernen Gesellschaft entfalten und ihre freiheitlich-demokratischen Werte vertreten, sich andererseits den bisweilen rigiden Überlieferungen unterordnen.

Die Autorin begleitet ihr belletristische Werk durch journalistische und essayistische Schriften, darunter ein Beitrag über das Für und Wider des Burka-Verbots in europäischen Ländern im „Rechtshandbuch für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte“ von 2010.

Für das Projekt „Lange Schatten unserer Mütter“  (2015 – 2017), in dem Frauen unterschiedlicher Herkunft ihre Rollen als Töchter und Mütter schildern, arbeitete Safeta Obhodjas mit der Fotografin Petra Goebel zusammen, deren klare, trotz aller Nähe zurückhaltenden Porträts sowohl die Intensität des Augenblicks als auch die Authentizität der Persönlichkeiten übertragen, die ohne Pose und Maske erfasst sind

Safeta Obhodjas lässt in ihren Texten, die aus den Interviews hervorgegangen sind, Fragen zwischen den Zeilen stehen, mit denen sie die Geschichten der Frauen umreißt. Um das zerbrechliche Vertrauen ihrer Gesprächspartnerinnen nicht zu missbrauchen, hat sie aus vielen Sätzen vor allem faktische Essenzen herausgefiltert. Dabei findet die Autorin ein Gleichgewicht der Worte zwischen Besonderheit und Allgemeingültigkeit, das jedes einzelne Schicksal auch stellvertretend für andere stehen lässt.

Die Ausstellung, die in einem großformatigen Katalog (2015) dokumentiert ist, war bisher in an vielen Orten zu sehen, darunter im Forum Kunst und Architektur in Essen (2014),

in der Bergischen Universität Wuppertal (2016), in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union in Brüssel (2016), bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Bad Honnef (2017) im Industrie Museum Solingen (2018) 

sowie im Kulturzentrum Herne zur 26. Herner Frauenwoche und im Glashaus in Herten im Rahmen der Interkulturellen Woche (2019).

In dem 2016 als Produktion GEDOK e.V., Wuppertal uraufgeführten Theaterstück „Funken aus einem toten Meer“ griff Safeta Obhodjas auf die Idee eines imaginären Zusammentreffens von Autorinnen zurück, deren Schicksal sich durch Flucht- und Exilerfahrungen zu Beginn und zum Ende des 20. Jahrhunderts verbindet.

Die Schriftstellerin Safia, die aus Bosnien vertrieben wurde und versucht, sich in Deutschland ein neues Zuhause zu schaffen – unschwer als Alter Ego der Autorin zu erkennen – stellt sich vor, wie sie die russische Lyrikerin Marina Zwetajewa (1892 – 1941) und die deutsche Romanautorin Irmgard Keun (1905 – 82) in einen Dialog bringt. Sie fordert die Kolleginnen auf, über ihr Leben und Lieben, die literarische Arbeit und die Künstlerexistenz, über den Verlust der Heimat und das Fremdsein zu sprechen und erzählt selbst aus ihrer Erfahrung.

Die Inszenierung fand im Wartesaal dritter Klasse im ehemaligen Mirker Bahnhof an der Nordbahntrasse in Wuppertal statt und damit an einer symbolischen Durchgangstation zwischen den Welten.

2017 erhielt Safeta Obhodjas ein Förderstipendium der Film- und Medienstiftung NRW, Düsseldorf für ihr Hörspiel „Schwesternliebe wie aus einer Halal-Seifenoper“, in dem Meryam und Latifah unterschiedliche Lebenswege einschlagen. Meryam entflieht mit Hilfe ihrer deutschen Freundin Anne ihrer Familie und wird Juristin, Latifah dagegen bedauert, die als Geborgenheit empfundene Familie zu verlieren. Diese Thematik entwickelte die Autorin in der Erzählung „Lange Schatten unserer Mütter“ (2015) und dem gleichnamigen Theaterstück weiter, das 2019, erneut als eine Produktion GEDOK e.V. in Kooperation mit Die Börse, Wuppertal uraufgeführt wurde.

„Ihre Texte sind besonders wertvoll, weil sie ihre Themen sachkundig und meinungsstark bearbeitet, differenziert, aber ohne in Relativismus zu verfallen, verständnisvoll für die unterschiedlichen Perspektiven, aber ohne es deshalb ein einem klaren eigenen Werturteil fehlen zu lassen. [...] Es wäre großartig, wenn dieses unermüdliche und konstante Bemühen um einen fruchtbaren Diskurs ausgezeichnet würde. “

Und in den Schubladen des Schreibtisches Safeta Obhodjas warten vier nahezu abgeschlossene Manuskripte, mit denen sie ihr Engagement für Aufklärung und Selbstbestimmung, für die Freiheit und Würde aller Menschen fortsetzt.

 

 ©2019 Dr. Jutta Höfel

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